Endlich!!!
Es ist Dienstagvormittag und wir sitzen tatsächlich im Flugzeug von Kathmandu nach Juphal!
Welch ein Nervenkrieg war dem vorausgegangen…Der winzige Ort Juphal liegt im südlichen Vorgebirge des Himalayas und an ihm ist nichts Besonderes – bis auf den Flugplatz. Dieser Flugplatz liegt in der Region Dolpo – und wird von Kathmandu aus nicht angeflogen. Es sei denn, man hat das Glück, einen Platz auf einem der seltenen Charterflüge zu ergattern. Dazu braucht es gerade an dem jeweiligen Tag genügend Passagiere und das richtige Wetter. Juphal liegt in einem Tal, die Landebahn ist extrem kurz, zu beiden Seiten von Berghängen eingefasst und ab Mittag herrschen starke Seitenwinde – Landen und Starten ist nur am frühen Vormittag möglich und auch nur bei ausreichender Sicht.
Am Montag hieß es, es gebe genügend Passagiere, wir möchten uns am Dienstag sehr früh am Flughafen in Kathmandu einfinden – schon mal eine gute Nachricht!
Unausgeschlafen und angespannt steht dann unsere Gruppe am Schalter von Summit Air und wir reihen unser Gepäck vor der Waage auf. Wir, das sind Jangbu Sherpa, seit 30 Jahren mein Freund, Organisator unseres Treks, Führer und Übersetzer,
Die Freunde sind gealtert – die Freundschaft ist gewachsen!
sein Vetter Tsering Sherpa, als Koch der zweitwichtigste Mann, meine Tochter Sarah und ihre Freunde Kevin und Frauke (Bilder folgen). Für die drei Youngster (zwischen 33 und 42) ist es die erste Nepalreise überhaupt und sie sind schon mit großen Augen durch Kathmandu gelaufen. Ich erlaube mir, im Folgenden die drei mit SKF zu bezeichnen, der Einfachheit halber.
Neben uns sechs laden da auch noch dreizehn Schweizer ihre Packsäcke ab – und dann wird`s spannend. “There is a problem!” Wenn Jangbu damit ankommt, bedeutet das nichts Gutes. Ihm und dem Guide der Schweizer wurde nach dem Wiegen des Gepäcks gesagt, es sei entschieden zu viel, die Maschine damit zu schwer! Ok, das kennen wir schon, eine Zuzahlung (ohne Quittung) macht dann das Gepäck irgendwie leichter… zahlen wir gerne, es ist erstens nicht viel und die Leute wollen ja auch leben! Damit ist es aber heute nicht getan, die schiere Menge des Gepäcks ist immer noch deutlich zu groß, selbst unter Ausnutzung aller Ermessensspielräume ist die Maschine immer noch überladen!
Wir fliegen mit einem ganz speziellen Flugzeug: einer de Havilland Canada DHC-6 Twin Otter. Erstmals in Dienst gestellt in 1965, wurde sie bis 1988 produziert und erwies sich als ein robustes Arbeitspferd unter besonderen Bedingungen. Das Turboprop – Flugzeug hat ein starres Fahrwerk, keine Druckkabine, aber verstellbare Propeller. Damit kann der Pilot bei der Landung den Schub umstellen und so reichen der Twin Otter in Verbindung mit den zwei starken Triebwerken sehr kurze Start- und Landebahnen, schon 370 Meter reichen dem Vogel! Die Twin Otter zählt sogar zu den sehr wenigen Flugzeugen, die auf dem Flugplatz von Lukla (Mt.Everest Region) landen können – angeblich der gefährlichste Flugplatz der Welt…Auch Juphal wirbt mit dem Gütesiegel “STOL” (Short Take Off and Landing) …
Was tun? Die Schweizer machen sich daran, ihre Packtaschen zu öffnen und alle möglichen Dinge rauszukramen; sie scheinen tatsächlich entbehrliche Sachen dabeizuhaben! Wir nicht.
Wie immer, hat schließlich Jangbu die Lösung: Koch Tsering tritt samt Gepäck vom Flug zurück und nimmt stattdessen einen Linienflieger nach Nepalgunj, übernachtet da und fliegt dann am nächsten Tag von dort nach Juphal! Ungern lassen wir Tsering zurück, wissen wir denn, ob das wirklich so klappt? Aber einen anderen Weg gibt`s anscheinend nicht…
Jetzt geht es sehr schnell und ein Bus bringt uns zur Twin Otter, SKF auf der Hinterbank.
Ich bin schon oft mit diesen Maschinen geflogen und mag das Geschüttel und das typische Motorengeräusch – man kommt den Anfängen des Luftverkehrs noch sehr nahe! Aber auch hier ist der Fortschritt nicht aufzuhalten: Konnte man vor kurzem noch den Piloten über die Schultern und direkt nach vorn aus dem Cockpit sehen, wird jetzt ein Vorhang zugezogen…
Die Stewardess sitzt ganz hinten auf ihrem Klappsitz und sortiert schon mal die Wattekugeln für die Ohren und Lutschbonbons – hoffentlich vertauscht das niemand… Dann gehts los und steil nach oben, unter uns streut das Krebsgeschwür Kathmandu seine Metastasen ungeregelt in alle Richtungen und wir können uns endlich entspannen – Juphal, in 45 Minuten sind wir da!
Irgendwas stimmt nicht. Und ich merke schnell, was: Wir müssten inzwischen über den Ausläufern des Himalayas sein – aber die Landschaft ist immer noch flach wie in Friesland! Und dann macht die Stewardess eine Lautsprecherdurchsage, von der ich nur ein Wort verstehe und das reicht aus für spontane Schnappatmung: Nepalgunj! Die schlimme Ahnung wird von Jangbu bestätigt: ”There is a problem!”
Juphal Tower hat starke Seitenwinde gemeldet und den Flugplatz gesperrt. Der Pilot hat zwei Möglichkeiten: Umkehr nach Kathmandu oder eben Landung in Nepalgunj. Für die drei Newcomer in unserer Gruppe ist das jetzt eine Variation zum Thema “Abenteuer in Nepal”, für mich – und ich denke, für Jangbu auch, aber er würde das nie sagen – ist es Frust. Ich kenne Nepalgunj von einem früheren “Besuch“: Knapp dreißig Kilometer von der indischen Grenze entfernt und mit nur 150m Metern so “hoch” gelegen wie der Teutoburger Wald, besticht die Stadt mit subtropischem Klima und entsprechend vielfältiger Fauna. Vor allem das Reich der Insekten ist stark vertreten und hier besonders die mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen. Bei einer Temperatur um die dreißig Grad und gefühlter Lufttemperatur von 90 % treten wir nach Verlassen des Fliegers unmittelbar in ein Treibhaus. Wohlgemerkt, wie sind ausgerüstet für ein Hochgebirgstrekking und angetan mit entsprechender Kleidung, einschließlich hoher Wanderschuhe mit Knöchelschutz und Profilsohle!
“Overdressed” nennt man das wohl…
Jangbu kommuniziert kurz mit dem Piloten und meldet dann: “They stay here, plane also. Early tomorrow we will fly to Juphal – weather permitting!” Immer diese Einschränkungen…Jangbu und ich entscheiden, unser Hauptgepäck gleich hier am Flughafen einzuschließen (Zahnbürste am Mann reicht); SKF haben nicht so viel Vertrauen oder/und meinen, keine Nacht ohne ihre Ausrüstung sein zu können. Also alles in ein Taxi geladen und quer durch die Stadt zum Hotel.
Auf der Fahrt offenbart sich der ganze Charme des Ortes: Schachbrettartig angelegt, zeigen die Straßen Geschäftigkeit in allen Variationen: Gehandelt wird mit allem, was sich verkaufen lässt, Obst und Gemüse, Küchenutensilien, Baumaterial, Fastfood, Autozubehör etc. Was man nicht sieht, und wofür Nepalgunj bekannt ist: Die Stadt ist ein Zentrum für Mädchenhandel und Drogenumschlag. Die Mädchen kommen aus Dörfern Nepals, wo ihnen und ihren Eltern von Zwischenhändlern die übliche Legende von gutbezahlten Jobs als Kellnerinnen aufgetischt wurde. Indische Bordelle sind dann die Endstationen, der Weg dahin: fast immer eine Einbahnstraße…
Unser Hotel ist ortsübliche Mittelklasse, jedes Zimmer mit eigener Dusche und WC, Klimaanlage, Ventilator und ein ordentliches Restaurant ist auch im Haus; auch auf der Speisekarte zeigt sich der Einfluss Indiens.
Zum Abendessen taucht dann auch noch Tsering auf – wir sind also wieder vereint mit unserem Koch! Mit der Ansage “Tomorrow we should be ready downstairs at 0430 h” entlässt uns Jangbu in die Nacht.
Um 0300 Uhr reißt mich mein Wecker aus irgendwelchen Träumen (Inhalte tun hier nichts zur Sache) und ich springe aus dem Bett. Ich genieße es, nichts packen und stopfen zu müssen und freue mich an der vorerst letzten Dusche. Am Treffpunkt im Foyer (alle pünktlich, gutes Zeichen!) erfahre ich, wie langweilig doch meine Nacht verlaufen ist: SKF überbieten sich in der Schilderung von allerlei Gruseligkeiten: “Bettzeug mit Haaren drin! Ekelhafte Toilette! Noch nie so viele Kakerlaken gesehen!” Eine Nachfrage ergab die Stückzahl von 5, für diese Breiten ein Wert im eher niedrigen Bereich…Aber das individuelle Lebensalter spielt hier wohl eine relativierende Rolle – je älter, desto mehr Gelegenheiten hatte man für Kakerlaken Begegnungen!
Irgendwann kommt dann auch unser bestellter Jeep,30 Minuten zu spät – aber wie gesagt, Indien ist ganz nah!
Am Flughafen, ja, die Bezeichnung verdient die Anlage durchaus, alles ist riesig und brandneu, vieles noch im Bau – sind schon viele Beine in Bewegung.
Die Schweizer haben wohl in einem Sternehotel logiert, sie tragen feine Tüten mit Lunchpaketen bei sich, von denen sie uns mitfühlend anbieten. Auch eine weitere Gruppe taucht auf, Trekker, die den “Upper Dolpo Circuit” wandern wollen, drei Wochen lang, ohne Pferde! Auch Schweizer…
Es stellt sich raus, dass es zwei Maschinen für Juphal geben wird – also diesmal darf unser Koch mit! Anders wäre es auch SEHR schlecht! Wieder sitzen wir angespannt herum und warten; das Wetter hat das letzte Wort!
Nachdem zunächst zwei Flüge zu anderen Orten in Nepal abgehoben haben, heißt es plötzlich: “Juphal? This way, please!” Und tatsächlich sitzen wir dann in der Maschine von gestern, dieselben Piloten steigen ein und – sehr beruhigend! – wir sehen, wie unsere Packsäcke auch wirklich in unser Flugzeug geladen werden! Ich will es einfach noch mal hören und frage den Piloten: “Juphal clear, Sir?” Er nickt und hebt den Daumen! Dann los jetzt!
Wir fliegen jetzt in Richtung Norden und es dauert nicht lange, bis unter uns die Landschaft ein ganz anderes Gesicht zeigt: Berghänge, immer wieder Ackerterrassen, aber auch Wald – noch überfliegen wir Höhen, wo noch Bäume wachsen.
Auffällig ist das Wegenetz; wie Adern winden sich Pisten und schmale Fußpfade die Hügel hoch, um sich dann wieder talwärts zu wenden. Von hier oben wird einem noch mal deutlich, was dieses Relief den hier wohnenden Menschen abverlangt: Dörfer, in der Luftlinie nur 5 Kilometer voneinander entfernt, erfordern Fußmärsche von einem oder mehreren Tagen! Und immer muss alles getragen werden…
Die Berge werden steiler, ihre Abstände geringer und dann fliegt der Pilot eine enge Steilkurve: Schräg vor uns und noch sehr tief unten taucht ein winziger Streifen auf: Die Landebahn von Juphal.
Die Twin Otter sinkt rasch, fast fällt sie, dann fängt der Pilot sie ab, die Räder setzen auf und sofort ertönt das charakteristische Geräusch der Schubumkehr – Pink Floyd haben in einigen Stücken was Ähnliches eingebaut… Wir werden nach vorn in die Gurte gepresst und unser Flugzeug steht – kurz vor dem Ende der Landebahn! “Landung ist im Grunde ein kontrollierter Absturz,” hatte mir mal ein Pilot gesagt…
Sofort wendet die Maschine und wir rollen in die Haltebucht. Die Stewardess öffnet die Tür, die Treppe klappt aus, “Mind your head!”, Juphal empfängt uns mit angemessen frischer Höhenluft – wir sind auf 2000 Metern – und macht das Treibhaus Nepalgunj vergessen. Wir Passagiere sind soeben alle aus dem Flugzeug gestiegen, Jangbu klärt Formalitäten mit dem Polizisten
und da liegt auch schon unser Gepäck auf einem Haufen gestapelt vor uns! Während wir uns überzeugen, dass alles komplett angekommen ist, steigen schon die neuen Fluggäste ein, die – aus welchen Gründen auch immer – dorthin wollen, wo wir gerade herkommen.
Ein paar junge Frauen interessieren sich für unsere Packsäcke, Trägerinnen, die für ein Entgelt das Gepäck der Passagiere hinunter ins Dorf tragen wollen. Eine Frau, zierlich und höchstens 20, hebt meinen Packsack prüfend an – 23 kg wie ich weiß und schwer, wie ich finde. Sie stellt ihn hochkant hin – und den meiner Tochter daneben, ebenso schwer. Die Frau bindet die beiden Säcke mit Seilen zusammen, hockt sich davor, legt sich ihr Trageband (aus einem Reissack angefertigt) vor die Stirn, und steht mit BEIDEN Säcken auf!
Ich habe dergleichen schon oft gesehen – jedes Mal bin ich fassungslos…und irgendwie sehr demütig. Ich weiß, dass die Menschen hier oft Lasten von bis zu 60-70 Kilogramm schleppen, und das über lange Strecken – es macht mich immer noch sprachlos, das zu sehen.
Unser gesamtes Gepäck, auch die Gasflasche und die komplette Küchenausrüstung, wird von den jungen Frauen aufgenommen und flotten Schrittes abtransportiert. Die Damen gehen übrigens in Turnschuhen bzw. Sandalen…
Wir folgen ihnen bis zum Jeep-Platz, wo sich Jangbu mit einem Fahrer handelseinig wird und laden dann das Gepäck auf. “Let`s have breakfast first!” Gute Idee, schließlich sind wir seit 03.30 Uhr mit leerem Magen auf den Beinen!
Im Garten einer Lodge werden uns Tisch und Stühle hingestellt und wir genießen bei Masala -Tee und Pancakes das Gefühl, am Anfang von etwas ganz Spannendem zu stehen. Wir sollen nicht enttäuscht werden…
Das Beste an nepalesischer Popmusik ist wohl, dass man die Texte nicht versteht. So können wir uns ganz dem Rhythmus aus dem Autoradio hingeben und nach einer Stunde sind wir in Dunai – natürlich muss Jangbu vorher am Kontrollpunkt unsere Permits vorzeigen. Die Erlaubnis, als Tourist die Region Dolpo besuchen zu dürfen, lässt sich Nepal mit 500 Dollar pro Person bezahlen. Ich bin ein großer Anhänger von Regulierung des Tourismus durch Preisgestaltung – das Königreich Bhutan zeigt seit Jahren, wie förderlich das für das Land ist – aber nur, wenn das Geld auch der jeweiligen Region zugutekommt. Die 500 Dollar Eintrittsgebühr gehen aber in den allgemeinen Staatshaushalt ein – Dolpo sieht nichts davon! Nepal ist ein Staat mit sehr hohem Korruptionsindex und so wird sich daran wohl so schnell nichts ändern. Besonders bitter finde ich es, dass auch Leute wie wir zur Kasse gebeten werden, die wir -zig Tausende von Euro in Chharka investieren für Maßnahmen, die Aufgaben des Staates sind, wie Bildung und Gesundheit!
Dunai (2103m) bedeutet das Ende des Straßennetzes, die Stadt ist der Verwaltungsmittelpunkt für Dolpo und hat neben vielen zentralen Einrichtungen auch eine große Bedeutung für den Handel. Der Ort liegt an einem Fluss und wird durchzogen von einer einzigen Straße, die zu beiden Seiten gesäumt ist mit Geschäften aller Art.
Hier ist alles zu haben, was die Menschen in der nahen und weiteren Umgebung zum Leben brauchen: Kleidung, Batterien, Flaschengas, Baumaterial jeder Sortierung, Küchenutensilien und Nahrungsmittel von Reis bis Red Bull. Vieles davon kommt natürlich aus China – mit entsprechender Halbwertzeit.
Ein Küchenhelfer wurde inzwischen auch gefunden: Prokash ist etwa 19 und total schüchtern.
Er steht in seiner Funktion an unterster Stelle in der Nahrungskette unseres Treks; als Mädchen für alles hilft er nicht nur dem Koch, er wäscht auch ab im Bach, baut das Toilettenzelt auf und schleppt einen schweren Korb mit den Küchenutensilien. Morgens bricht er als erster auf und arbeitet abends noch, wenn seine Chefs schon beim Bier sitzen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre – in Nepal schon mal gar nicht!
Jangbu und Tsering helfen SKF noch beim Zeltaufbau – die Wiese vor der Lodge “Blue Sheep Inn” ist in Dunai der zentrale Platz für Trekkinggruppen – und gehen dann restliche Dinge zu organisieren und einzukaufen. Für uns ist der Tag “zur freien Verfügung”.
Beim Abendessen im neugebauten Speisesaal berichtet Jangbu, dass am nächsten Morgen unsere Mulis und Pferde so gegen 10 Uhr hier sein würden; seit mehreren Tagen seien sie von Chharka aus unterwegs und jetzt in Laisicap, einem Übernachtungsplatz nicht weit entfernt.
Das sind gute Neuigkeiten, es ist sternenklar und kühl und wir gehen guter Dinge in die erste Zeltnacht.
Die ist um sechs Uhr zu Ende, man steht hier früh auf. Abends ist noch eine weitere Trekkinggruppe eingetroffen und hat die Zimmer der Lodge bezogen. Wie wir bereiten sie sich nach dem Frühstück auf den bevorstehenden Trek vor; sie haben berühmte Klöster zum Ziel.
Wir haben schon mal unsere Spanngurte aus dem Baumarkt bereitgelegt, um damit die Steigbügelriemen an unseren Sätteln zu verlängern; vor allem Sarah und ich säßen sonst wie Jockeys mit Knien unter dem Kinn auf den Pferden….und die kommen ja gleich!
Von wegen. Um zehn Uhr sollten sie da sein…gut, dies ist Nepal, 12 wäre dann auch ok. Sie sind auch nicht um 12 und nicht um 15 Uhr hier. Gegen kurz vor 17 Uhr tauchen Gyaltsen und Pema auf, gut gelaunt und entspannt! Es hätte sich “verzögert” und das mit den zehn Uhr sei wohl ein Missverständnis zwischen Jangbu und ihnen gewesen – aber jetzt seien sie ja da. Ich kenne meinen Freund Jangbu sehr gut und weiß, dass er keine Quelle für Missverständnisse ist. Vieles spricht dafür, dass Gyaltsen keine Lust hatte, noch heute wieder aufzubrechen und gerne eine Nacht in Dunai verbringen möchte. Dazu passt, dass der Muli-Mann seinen Tieren bereits Auslauf gegeben hat und wir heute also auf keinen Fall noch hätten aufbrechen können. Ich koche innerlich, kann mich aber weitgehend kontrollieren und meinen Frust schlucken – ein Wutanfall führt hier nur zum Verlust des Gesichts. Und dann hat man Mühe, es wiederzufinden… So ganz umsonst waren die langjährigen Erfahrungen in Laos dann doch nicht! Also die Zelte wieder aufbauen – eng wirds auf der Wiese, eine weitere große Gruppe war zwischenzeitlich angekommen – one more night in Dunai!
Am nächsten Morgen kommen endlich Ross und Reiter zusammen, alle Sättel werden angepasst und die Mulis beladen – unsere Karawane setzt sich in Bewegung.
Mein Pferd hat als einziges eine Trense, die anderen drei bekommen nur ein Seil ums Maul gebunden! Warum ist das so? “They lost the others on the way!” Auch Jangbu schüttelt den Kopf und versteht es nicht. Kevin, Sarah und Frauke machen also “geführtes Ponyreiten”, Gyaltsen und Pema gehen jeweils abwechselnd mit den Pferden am Führstrick! Ein weiteres Pony trägt nur einen Sattel; es ist gedacht für Jangbu und Tsering, die sich so im Reiten abwechseln sollen…keiner von beiden steigt auch nur einmal während der gesamten Reise aufs Pferd! Tsering mag Reiten grundsätzlich nicht und Jangbu geht lieber zu Fuß, nachdem er wiederholt runtergefallen ist…
Ich habe den Weg, den wir jetzt gehen, schon zweimal gemacht und spare mir hier eine weitere Beschreibung der großartigen Landschaft, durch die es in den nächsten Tagen immer höher hinauf geht und die immer anstrengender wird. Wer mag, kann das in den früheren Bambusbriefen nachlesen…
Die letzten Kilometer ziehen sich in die Länge, aber dann haben wir unser Etappenziel erreicht: Dho Tharap (3950m).
Dieser Ort ist für die umliegende Region wichtig: Hier gibt es Internet, eine gute weiterführende Schule mit Boardinghouse, zwei Lodges – und von hier aus lassen sich Dörfer wie Tinje und Chharka auch mit Mopeds erreichen. Das ist zwar eine lange Tour, aber so kann der Adlerpass (5350m) umfahren werden. Von Tinje ist es auch nur eine kurze Strecke bis China, wo unmittelbar hinter der Grenze ein Markt abgehalten wird. Daher stammt auch der Traktor, den wir bei unserem “Einmarsch” sehen – ein surreales Ding in dieser so abgelegenen Welt!
Kevin und ich gönnen uns jeweils ein Zimmer in der “Caravan Inn“,
der Rest der Gruppe schlägt auf dem angeschlossenen Platz die Zelte auf und Tsering kocht das Abendessen in der Trekker-Küche. Nach dem Abendessen tauschen SKF ihre Aufnahmen aus, alle haben während der letzten Tage unentwegt gefilmt. Für mich neu war dabei, dass es anscheinend wichtig ist, in diesen Aufnahmen jeweils selbst im Vordergrund sichtbar zu sein (war man sonst vielleicht gar nicht da?). Wenigstens diese unsäglichen “Selfie Sticks” sind dabei entbehrlich, das Handy wird auf Armeslänge vom Körper abgewandt gehalten und man spricht bei laufender Kamera hinein. Das geht auch beim Reiten vom Pferderücken problemlos! Kevin hat seine Drohne mitgebracht lässt sie Aufnahmen aus ganz neuen Perspektiven machen; ich bin gespannt auf die Ergebnisse!
An dieser Stelle ist es mir wichtig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen. Die auf der Reise gemachten Filmaufnahmen wurden sehr zeitnah, meistens schon in Pausen oder abends zusammengeschnitten, hochgeladen und auf diversen sozialen Medien eingestellt. Besonders Kevin war in dieser Hinsicht unermüdlich. Er ist hauptberuflich Feuerwehrmann bei der Düsseldorfer Feuerwehr, hat dann vor einiger Zeit seine eigentliche Berufung entdeckt und eine Firma gegründet, die er “Phoenix Coaching” nennt. Er versteht sich als Coach einer Gruppe von Followern (früher Jünger?), die von ihm in Kursen und Seminaren in “Psycho-Epigenese” unterwiesen werden. Kevin ist von der Arbeit der Bambusschule sehr angetan und hat aus seinem Kreis bereits neue Mitglieder geworben und diese auch zu Spenden motiviert. Für dieses Engagement sind wir sehr dankbar!
Auf einigen der Beiträge im Internet erscheint das Logo der Bambusschule – unsere Arbeit ist ja schließlich der Hintergrund unserer Reise. Allerdings tauchen auch die Schriftzüge “Phoenix-Coaching” und “Psycho-Epigenetik, das Wunder der Neuzeit” dabei auf – und hier muss ich etwas klarstellen:
Bei den jeweils im Netz erscheinenden Videos handelt es sich um rein persönliche Beiträge, sowohl, was die Art der Präsentation als auch die Inhalte betrifft. Der Vorstand betont ausdrücklich, dass es keine strukturelle Verbindung zwischen der Firma “Phoenix-Coaching” und unserem Verein gibt. Alle aus diesem Kreis stammenden Spenden sind solche von Einzelpersonen.
Ebenso ist festzustellen, dass der Vorstand der Bambusschule sich von dem Gedankengut der “Psycho-Epigenetik” distanziert.
Einige Beiträge auf den sozialen Medien enthalten Aussagen, die sachlich falsch sind und ich möchte auf diesem Weg wenigstens unsere Mitglieder ins richtige Licht setzen: Die Schule in Chharka Bhot gibt es schon länger, nicht erst “seit wenigen Monaten”. Sie bestand allerdings nur aus wenigen Räumen, die in einem heruntergekommenen Zustand waren. Seit 2018 unterstützen wir unsere Partnerorganisation “Dolpo Tomorrow” auf den Gebieten Bildung und Gesundheit. Die Entwicklung haben wir auf unserer Website und in diversen Rundschreiben ausführlich beschrieben.
Der Weg unseres Treks beschreibt EINEN Weg nach Chharka, den von Dunai über den Adlerpass. Dies ist NICHT der Weg, den Transporte mit Material für das Dorf nehmen, wie stellenweise behauptet. Unser Weg ist der landschaftlich reizvollste und abwechslungsreichste, deswegen hatten wir ihn ausgesucht. Materialtransporte nach Chharka nehmen inzwischen den Weg von der anderen Seite (durch die Region Mustang): auf LKW von Kathmandu über Pokhara nach Jomsom, von dort per Jeep/Traktor bis zum derzeitigen Ende der Piste, dann mit Mulis nach Chharka. Solange die Piste noch nicht soweit vorgedrungen war, musste das Material ab dem Dorf Sangda in Mustang per Mulis über die zwei Tujela Pässe (5300m) transportiert werden.Jetzt ist „nur“ noch eine Schlucht zu Fuß zu bewältigen. Die Piste stellt eine enorme Erleichterung dar und es ist eine Frage der Zeit, dass sie bis nach Chharka weitergebaut wird.
Wenn von “Gletschern” die Rede ist in einigen Beiträgen, sind damit lediglich Schneeflächen gemeint. Gletscher gibt es weder auf unserem Hin- noch auf dem Rückweg.
Zurück nach Dho Tharap. SKF haben schlecht geschlafen und klagen über Kopfschmerzen und Schlappheit – und noch haben wir den Adlerpass vor uns! Aber der heutige Tag wird nicht besonders anstrengend; zwar geht es weiter stetig bergauf, aber wir können fast die gesamte Strecke reiten und werden bereits zu Mittag unser Lager aufschlagen. Das wird am Fuße des Passes sein und wir haben dann den restlichen Tag zur Erholung.
Bei bestem Wetter brechen wir früh auf; entlang an Buchweizenfeldern, von wo uns die Leute bei der Ernte zuwinken, geht es allmählich in die Berge.
Schon länger wächst kein Baum in dieser Höhe, nur tundraähnliches Gestrüpp bedeckt die steilen Hänge. Ich verrenke mir den Hals nach Blauschafen (Pseudois nayaur), sehe aber keines. Nur der gelegentliche Adler zieht hoch über uns seine Kreise, ohne einen Flügelschlag, scheinbar mühelos die Thermik nutzend, schraubt er sich höher und beobachtet die Dinge unter sich. Ich stelle mir vor, der Adler hat ein Bewusstsein seiner selbst- was muss es für ein Gefühl sein, sich absolut souverän in seiner Welt zu bewegen, ohne natürliche Feinde, ungehindert jede Richtung einschlagen zu können, die einzige Grenze der Horizont ringsum, zu jedem Zeitpunkt den totalen Überblick zu haben?
Die drei jungen Erdlinge unserer Karawane quälen sich derweil über die letzten Kilometer.
Als wir gegen Mittag unseren Lagerplatz erreichen, steigen Sarah, Kevin und Frauke völlig erschöpft von ihren Ponys und sinken ins Gras. Zu Schlappheit und Kopfschmerzen ist noch Schwindel hinzugekommen, insgesamt eine unangenehme Mischung…Jangbu und Tsering bauen für die Entkräfteten die Zelte auf und dann heißt es erstmal ablegen.
Nach dem Abendessen – Appetitlosigkeit! – verstärken sich die Beschwerden. In der Gesamtschau produzieren die drei die klassischen Warnzeichen einer Höhenunverträglichkeit. Wir sind inzwischen auf 4600m und müssen morgen weitere 700 Meter ansteigen. Angesichts der Verfassung von SKF erscheint das jetzt als zumindest riskant. Sollten sich die Symptome weiter entwickeln, besteht die sehr ernstzunehmende Gefahr einer “Höhenkrankheit” mit irreversiblen Folgen bis hin zur Hirnembolie. Was tun? Wir beschließen, die Nacht abzuwarten und morgen früh eine Entscheidung zu treffen. Ich mache noch mal deutlich, dass es hier nicht um “Durchhalten” oder “keine Schwäche zeigen” geht – Höhenprobleme bekommt man unabhängig vom Stand der individuellen Athletik.
Ich selbst hatte noch nie und auch jetzt nicht irgendwelche Schwierigkeiten mit der Höhe – das ist einfach so und ich bin froh darüber!
Am nächsten Morgen geht es den dreien unverändert schlecht; Kevin hat über Nacht große Angst gehabt und kaum geschlafen. Wir gehen kein Risiko ein und beschließen die Umkehr nach Dho Tharap. Jangbu sieht das genauso; er hat als Trekking Guide oft diese Erfahrung mit Klienten gehabt und ist froh über die Einsicht der drei. “Sometimes people won`t listen and carry on climbing up – very dangerous and troublesome for me!”
Gyaltsen und Pema begleiten uns zurück ins Dorf, wo wir eine weitere Nacht bleiben. Jangbu, Tsering und Prokash werden mit den Mulis ihren Weg über den Adlerpass fortsetzen und heute noch Chharka erreichen.
Auch auf dem Rückweg – irgendwie ist bergab immer schneller! – kann ich keine Blauschafe entdecken, Schneeleoparden erst recht nicht…
Wirt und Wirtin der “Caravan Inn” sind erfreut, uns zu sehen, die Überraschung hält sich aber in Grenzen, man ist dergleichen wohl gewohnt. Wie mit Jangbu abgesprochen, organisiert Gyaltsen sofort drei junge Männer mit geländegängigen Mopeds, die uns am nächsten Tag nach Chharka fahren sollen. Die Route beschreibt einen riesigen Bogen um den Adlerpass, führt knapp am Dorf Tinje vorbei und schraubt sich dann den Mola Pass hoch. Der liegt zwar auch auf 5300 m, aber wir werden ja vergleichsweise schnell unterwegs sein und müssen uns nicht körperlich anstrengen. Vom Mola geht es dann wieder abwärts bis nach Chharka Bhot auf 4300m.
Gyaltsen, nebenbei auch der Vorsitzender des Schulkommittees von Chharka, übermittelt mir eine Einladung zum Abendessen bei einem Lehrer der hiesigen Schule. Die “Chrystal Mountain School” genießt einen guten Ruf; sie ist deutlich größer als die Schule in Chharka und nimmt auch Schüler/-innen aus umliegenden Dörfern auf. Gyaltsen führt mich durch ein Labyrinth von Gassen in das Innere des Dorfes, wo wir bereits erwartet werden. Der Lehrer bewohnt ein typisches zweistöckiges Haus, in dessen zentralem Raum die Feuerstelle den Mittelpunkt bildet.
An zwei Seiten gibt es mit Kissen und Decken ausgestattete Sitzbänke, die auch zum Schlafen benutzt werden. Als Ehrengast sitze ich neben dem Lehrer, Gyaltsen macht es sich etwas abseits bequem.
Die Frau des Hauses kocht auf dem Ofen Sherpa Stew, ein Eintopf aus Gemüse, etwas Yakfleisch und den ausgezeichneten Kartoffeln, die hier angebaut werden. Dolpo ist für seine Kartoffeln in ganz Nepal berühmt – zu Recht! Der Eintopf schmeckt super gut und ich lange ordentlich zu, zur sichtlichen Freude der Köchin. Dazu gibt es tibetischen Buttertee, eigentlich schon eine Mahlzeit für sich, so viele Kalorien dürfte der haben, und Chang, das hier übliche, selbst angesetzte Gerstenbier, für mich extra warm gemacht. Gyaltsen zieht Rakschi vor, Hausbrand von etwa 40 Prozent und schlecht berechenbarer Wirkung….
Mein Gastgeber spricht sehr gut Englisch und schnell entwickelt sich eine angeregte Unterhaltung über die Arbeit der Bambusschule (er ist bestens informiert) und ich erfahre viel über die Chrystal Mountain School. Auch sie ist das Ergebnis einer langjährigen Unterstützung zahlreicher Sponsoren aus dem westlichen Ausland; die meisten Lehrkräfte werden von dort bezahlt. Das Gespräch verläuft sehr offen und wir sind uns einig, dass die Korruption in Nepal mit Abstand das größte Übel ist. Zum Schluss lädt der Lehrer mich ein, morgen auf dem Weg nach Chharka kurz bei der Schule vorbei zu kommen, sie liege auf dem Weg. Sehr gerne nehme ich an.
Ohne Gyaltsen und seine Taschenlampe würde ich den Rückweg kaum finden, es gibt keine Beleuchtung und ein Haus sieht für mich aus wie das andere…
Zurück in unserer Lodge erzähle ich noch von dem Gespräch, dann beziehen Kevin und ich unsere Suiten, die Damen fühlen sich im Zelt wohler (keine Krabbeltiere!). Suum cuique!
SKF haben wieder schlecht geschlafen, reichlich verquollen und unausgeschlafen tauchen sie zum Frühstück auf…keine Ahnung, was die falsch machen!
Dann tauchen unsere Moped Piloten auf: Vier junge Männer, die sich sichtlich darauf freuen, diesen Westlern zu zeigen, was sie mit ihren Feuerstühlen so anstellen können – und dabei noch ein gutes Geschäft zu machen! Ich kenne diese Mopedfahrten von früheren Besuchen, weiß, wie souverän die Männer mit ihren Maschinen umgehen können und bin voller Vertrauen in meinen Fahrer Karma (!). Sarah und Frauke haben große Fragezeichen in den Gesichtern… Kevin meint, er würde sich auch zutrauen, selbst zu fahren. Selbstüberschätzung ist ein weiteres Warnzeichen von Höhenkrankheit… Wir verzurren unsere Satteltaschen an den Mopeds und ziehen uns staub- und windfest an. Gyaltsen und Pema werden gleich wieder aufbrechen, den Adlerpass überqueren und nach Chharka reiten – kein großes Ding für die beiden! Ach ja, ganz nebenbei sagt mir Gyaltsen noch, Jangbu sei mit der Mulikarawane gestern problemlos in Chharka angekommen!
Erster Stopp: Chrystal Mountain School. Auf einem recht weitläufigen Gelände, einige Kilometer außerhalb von Dho, stehen mehrere Gebäude in einem großen Geviert, Klassenzimmer und Boardingräume. Alles sieht gut gepflegt aus, die Gebäude sind aber nicht wie in Chharka in einem einheitlichen Stil gebaut worden, was dem Ganzen einen etwas zusammengewürfelten Eindruck verleiht. Der Sache tut das aber keinen Abbruch – hier findet Bildung statt! Immerhin hat die Schule den Rang einer „Secondary School“. Ich bedanke mich noch einmal bei dem freundlichen Lehrer und seinen Kollegen, wir machen noch ein Gruppenfoto und dann geht es endlich los zu unserer Cross-Country Tour!
Wieder ist das Wetter, wie es besser nicht sein könnte: keine Wolke am Himmel und die Luft ist von einer Klarheit, die die großen Berge im Hintergrund unwirklich nah erscheinen lässt. Zunächst geht es noch vorbei an einzelnen Häusern, dann erstreckt sich vor uns nur noch die weite Landschaft, durch die sich die Piste in engen Kehren immer höher windet. Unsere Fahrer sind die Strecke -zigmal gefahren, kennen jede Kurve, jedes Schlagloch und wissen, wie die zahlreichen Rinnsale und kleinen Bäche durchquert werden können. An einer Stelle mit besonders weitem Ausblick halten wir an und Kevin macht seine Drohne bereit. Er programmiert sie so, dass sie uns einige Zeit auf unserer Weiterfahrt begleitet und dabei aus der Vogelperspektive filmt. Als wir dann wieder anhalten, kommt sie brav herbeigesurrt und landet auf seiner Hand – das Ganze erinnert mich an Beizjagd mit Falken: Vom Handschuh losgeschickt, zum Handschuh zurück!
Nur, dass die Drohne anstatt eines Stück rohen Fleisches einen frischen Akku bekommt…
Adler sehe ich diesmal nicht – vielleicht auch ganz gut wegen der Drohne! – aber mehrfach erschrecken wir friedlich grasende Yaks. Es hat etwas Archaisches, wie diese Urviecher in wilder Flucht vor uns scheinbar mühelos den steilen Hang hoch galoppieren!
Kurz nachdem wir die Abzweigung zum Dorf Tinje passieren – wir dürften jetzt so auf etwa 4500 Meter sein – kommen wir an einen Fluss. Hier lagert schon eine Gruppe Einheimischer mit Ihren Mopeds, sie begleiten mehrere Pilger; unter ihnen sei ein hochrangiger Lama, sagt mir Karma. Die Gruppe ist auch auf dem Weg nach Chharka, um dort eine Zeremonie abzuhalten. Wir machen hier eine kurze Pause; unsere Piloten rauchen, wir essen Eiweißriegel.
Die Mopeds werden dann bei laufendem Motor durch den Fluss geschoben; wir ziehen unsere Schuhe und Socken aus, hängen sie uns um den Hals und staksen dann ziemlich unelegant durch das eiskalte Wasser. Tief ist es nicht, aber die Steine sind glatt und ein Ausrutschen wäre extrem unangenehm: Mit nassen Sachen auf dem Moped sitzen will niemand!
Alles läuft gut und weiter geht die Fahrt! Für mich könnte das jetzt noch den ganzen Tag so laufen, ich sitze gut und warm hinter meinem Fahrer, dessen nach Kokos-Shampoo riechende Haare mir ins Gesicht wehen und genieße die Ausblicke!
Und dann, wie aus dem Nichts jagt eine Gruppe Blauschafe vor uns über die Piste! Sie sind die Hauptnahrung für die hier lebenden Schneeleoparden- es wäre doch auch möglich, dass… Samdup hatte vor einigen Jahren tatsächlich das Glück, einen zu sehen, er konnte sogar ein Video mit seinem Handy aufnehmen! Auf dieser Fahrt aber Fehlanzeige…
Ohne dass sich die Höhe sonderlich bemerkbar macht, sind wir plötzlich auf dem höchsten Punkt dieser Reise, dem Mola Pass (5170m). Keine(r) hat sich angestrengt, alle fühlen sich soweit ok. Wir halten für einige Fotos – leider ist die Sicht hier nicht optimal, so dass uns die Dhaulagiri – Kette am Horizont vorenthalten bleibt.
Ab jetzt geht es nur noch bergab, Kehre um Kehre kurven unser Fahrer uns abwärts. Einige Kilometer vor Chharka passieren wir eine archaisch – pastorale Szenerie: Schafherde vor Nomadenzelten!
Da wir wissen, dass Chharka jetzt nicht mehr weit ist, ziehen sich die letzten Kilometer gefühlt noch sehr in die Länge… Aber dann tauchen vor mir die beiden alten Stupas auf:
Wir sind auf der Zielgeraden! Ich rufe Jangbu an, um ihm zu sagen, wo wir sind und damit er den Empfang organisieren kann. Denn aus Erfahrung weiß ich, was da im Dorf gleich auf uns wartet…
Das ist jetzt meine vierte Ankunft in Chharka und es rührt mich wieder an, wie wir hier begrüßt werden: Alle Schülerinnen und Schüler, nach Größe sortiert, stehen in einer Reihe, beginnend am Eingang vom Schulgelände bis hoch zur Küche, angetan mit ihrer traditionellen Kleidung und in den Händen Katas, Schals zur Begrüßung. Ursprünglich weiß, sind Katas heute blau, grün, gelb und rot, immer bedruckt mit Segenssprüchen – es ist ein beeindruckendes Bild! Ich wäre hier lieber vom Pferd gestiegen, als vom Moped – aber vielleicht sollte ich es metaphorisch betrachten als Zeichen für den beständigen Wandel…nichts bleibt wie es ist!
Zuerst begrüßt uns ein strahlender Samdup: “Tashidelek! Tahidelek!” Eine wichtige Grußformel der tibetischen Sprache, wir werden sie noch oft hören und sprechen. Dann schreiten wir die Reihe der Schülerinnen und Schüler ab, alle wollen gern jedem/jeder von uns einen Schal um den Hals hängen; ganz zum Schluss, bei den Kleinsten aus der Vorschulgruppe, muss Lehrer Thupten den Jungen hochheben, damit er das bei mir kann. “Worche!” Danke ist mindestens ebenso wichtig…
Am Ende des Spaliers wird Samdup dann ganz stolz. Ich habe es schon auf seinen Fotos gesehen, aber in der Realität sieht es noch beeindruckender aus: Sange, Jangbu`s Bruder, hat ganze Arbeit geleistet und aus armiertem Beton eine Art Torbogen gebaut, and dessen Querbalken DIE Glocke hängt! Und dazu gibt es eine Geschichte…
Im Haus meiner Schwiegereltern hing jahrelang eine Schiffsglocke aus Bronze im Flur; wenn man die dort läutete, fielen einem die Ohren ab! Dass Trumm zierte dann jahrelang den Eingang zu unserem Garten und setzte Patina an, geläutet wurde nie.
Unsere Freundin Hilde hatte uns auf Reisen nach Nepal und in die Sahara begleitet und ich war mit ihr in China – “von Haus aus” Geographin und Biologin, hatte sie sich ein brennendes Interesse an anderen Kulturen bewahrt. Als wir 2006 unseren Verein gründeten, war Hilde selbstverständlich eines von 12 Gründungsmitgliedern und als sie 2014 mit 90 JahrenJahren starb, hinterließ sie der Bambusschule eine Stiftung. Ohne Hildes substantielle Unterstützung hätten wir das Krankenhaus in Nord Laos nicht bauen können und die Schule in Chharka Bhot sähe bei weitem nicht so aus wie jetzt.
“In memoriam Dr. Hilde Kümpers” steht eingraviert auf der Glocke und als ich sie jetzt anschlage, habe ich einen Kloß im Hals und bin froh, dass ich vergessen habe, die Sonnenbrille abzusetzen…Auf dem Dach der Welt wird jetzt diese Glocke täglich die Schulzeiten einläuten – man hört sie bis zum Ende des Dorfes! Und wer weiß, vielleicht auch noch weiter…
Wir versammeln uns in der alten Schulküche, wo der Koch Man Bahadur
irgendwas auf dem Ofen köchelt – eigentlich macht er den ganzen Tag nichts anderes, entweder er befeuert den Ofen mit Hobelspänen und Yakdung, oder er kocht. Wir trinken erst einmal einen Tee. Langsam sackt es ein: Wir sind tatsächlich in Chharka angekommen!
Jangbu erzählt beiläufig, sie seien ohne Pause über den Pass und dann gleich weiter zum Dorf gelaufen, “No problems!”
Kaum, dass sich unsere mopedsteifen Knochen etwas entspannt haben, ruft Samdup von draußen: “Come quick, that lama is arriving!” Wir raus aus der warmen Küche und zum Dorfeingang, gerade noch rechtzeitig, um dem Einzug der Delegation beizuwohnen, die wir am Fluss überholt hatten. Diesmal stehen die Erwachsenen Spalier, überwiegend Frauen mit Katas in den Händen und warten ehrfürchtig auf eine Gelegenheit, um sie Hochwürden übergeben zu können. Dieser wird angekündigt von niederen Würdenträgern, die in lange kupferne Trompeten blasen und ihnen immer denselben, durchdringenden Ton entlocken; einer arbeitet sich an einem großen Muschelhorn ab – alle ohne irgendein Notenblatt! Dahinter schreitet der Oberlama gemessenen Schrittes einher, unmittelbar hinter ihm ein weiterer Lama, der einen riesigen runden Schirm über Hochwürden hält und ihn (den Schirm) dauernd in kreisende Bewegungen um seine Längsachse versetzt, mal in die eine, dann in die andere Richtung. Es folgen noch weitere Geistliche ohne erkennbare Funktionen, aber sicher mit Bedeutung; alle sind in farbenprächtige Gewänder gekleidet und tragen enorme gelbe Hüte.
Hochwürden trägt alles mit Fassung, nimmt hier und da einen Schal und die tiefen Verneigungen seiner Anhänger (Follower?) entgegen, er macht den Eindruck allgemeiner Unbeteiligtheit- “aloofness” wäre wohl das passendere Wort auf Englisch.
Ziel der Prozession ist das kleine Kloster am Rande des Dorfes. Der Oberlama bezieht Position auf einem besonderen, thronähnlichen Sitz oberhalb der übrigen Versammlung, ordnet seine Gewänder und – sitzt einfach da. Samdup bedeutet uns, auch hineinzugehen und wir bekommen Plätze in der ersten Reihe. Der kleine Raum füllt sich bis auf den letzten Platz, einige bringen Geschenke nach vorne und legen sie am Altar ab, darunter zahlreiche Flaschen mit klarem Inhalt – selbstgebrannter Schnaps. Wer den nachher trinken wird? Keine Ahnung, vielleicht geht es ja um die Geste des Gebens…
Der Oberlama – sein Pokerface erinnert mich an Martin Winterkorn, den früheren Chef von VW – beginnt unvermittelt mit dem Absingen von Sanskritversen. Er tut das in einer tiefen, gleichförmigen Stimmlage und ohne erkennbares Luftholen, nicht unähnlich einem Didgeridoo-Spieler. Außer ihm und den anderen Geistlichen versteht kein Mensch, was er da singt. Um Vermittlung von Inhalten scheint es auch nicht zu gehen: Die Melange von vielen Menschen in einem Raum, die meisten ohne Frage tiefgläubig, das Licht zahlreicher Kerzen, von Räucherstäbchen geschwängerte Luft und der monotone Singsang, jetzt vervielfacht durch die rangniederen Lamas, erscheint bei vielen Anwesenden eine tranceähnliche Gemütsverfassung von Zeit- und Raumlosigkeit zu erzeugen, mich eingeschlossen.
Aber es gibt auch Resistente: Mir gegenüber sitzt ein Paar, sie offenbar eine Nonne (raspelkurze Haare), beide hantieren immer wieder mit ihrem Mobiltelefon. Der allgemeinen Atmosphäre tut das keinen Abbruch.
Auch die tiefste Spiritualität braucht mal eine Pause und der Lama muss was trinken. Jangbu, immer ganz Aufmerksamkeit und Fürsorge, nutzt diesen Moment, uns zu signalisieren “You may leave. If you want!” Nach einer Stunde des regungslos mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden Sitzens fällt ein halbwegs elegantes Aufstehen nicht leicht (ich merke schmerzhaft, dass ich keine 70 mehr bin!), aber annähernd würdevoll verlassen wir die Versammlung, mit respektvoller Verbeugung und mit einem Geschenk vom Lama: eine Dose Red Bull für jede(n).
Samdup führt uns jetzt zu unserem Homestay: Während der Zeit in Chharka wohnen wir im Haus von Tenba und seiner Familie.
Es ist ganz neu, im letzten Jahr war es noch eine Baustelle, wo ich fasziniert die Männer bestaunt habe, wie sie jeden einzelnen Granitstein mit Hammer und Meißel in Form geschlagen haben. Die Bewohner (außer Tenba und seiner Familie wohnen auch seine Eltern im Haus) sind nach unten gezogen und wir bekommen in der ersten Etage drei Räume zur Verfügung gestellt. Sarah und Frauke teilen sich ein Zimmer, Kevin wohnt im Wohnzimmer – das Prachtstück ist hier ein großer Schrank mit Altar, gebaut von Meister Sange! Von Natur aus genügsam, nehme ich das kleine Zimmer nach hinten raus, an den Wänden noch relativ frischer Lehmputz, gestampfter Lehm auch der Boden, mit einer Plastikplane abgedeckt. Ich richte mich im Rahmen der Möglichkeiten ein und achte darauf, ja nicht die Wände zu berühren. Das Bett ist ganz ok, die chinesischen Decken- na ja, aber ich habe ja den eigenen Schlafsack dabei. Und wir werden hier schließlich nur schlafen, keinen Besuch empfangen und nicht Hof halten! Vor den Zimmern gibt es noch eine Art Wintergarten, einen Vorraum mit großen Fensterflächen und damit auch recht warm – gute Idee vom Architekten! Unten im Hof hat Tenba, wie jetzt alle Familien im Dorf, eine Komposttoilette. SKF finden diesen Hygienestatus “ganz schlimm!” Alles relativ: Bislang ging man für private Geschäfte im Schutz der Dunkelheit auf die Felder hinterm Haus. Ich halte den neuen Zustand für einen großen Fortschritt!
Tenbas Haus liegt ganz nahe bei der Schule und der Küche; dafür sind wir nach diesem Tag sehr dankbar! Nach dem Essen gibt es noch ein Glas Chang, für mich warm gemacht, und dann finden wir im Licht der Taschenlampen den Weg ins Bett!
Wegen unseres etwas verunglückten Hinwegs haben wir nur noch drei Tage in Chharka Bhot – und die sind randvoll. Zunächst steht eine Besichtigung der Schule und aller damit zusammenhängenden Einrichtungen an. Für SKF ist alles neu, ich sehe mir vor allem an, was sich seit meinem letzten Besuch vor einem Jahr verändert hat. Das Waschhaus wird sehr intensiv benutzt und zeigt erste Spuren von Abnutzung, der gesamte “Lehrkörper” nutzt die Duschen und Waschbecken. Auch die Schüler und Schülerinnen erhalten dazu Gelegenheit, unter Aufsicht und mit System – Hygiene steht auf dem Lehrplan. Dafür ist der Gesamtzustand recht ordentlich, lediglich gerade jetzt ist ein zuführendes Wasserrohr kaputt. “Sange will fix this today, no problem!” beeilt sich Samdup. Immerhin wird dafür gesorgt, dass für Frauke und Sarah heißes Wasser per Gasboiler bereitgestellt wird. Mit wie wenig man doch manche Frauen glücklich machen kann!
Die Gesundheitsstation interessiert mich besonders, hier wurde im letzten Jahr noch am Rohbau gearbeitet. Jetzt ist das Gebäude fertig und kann sich sehen lassen: Es gibt einen großen Vorraum in passiver Solarbauweise (transparente Polycarbonatflächen sorgen für eine Erwärmung); er ist Wartezimmer und kann als Veranstaltungsraum für diverse Kampagnen benutzt werden). Ein Zimmer ist Apotheke und Lager für medizinisches Gerät, es gibt einen Behandlungsraum und ein Zimmer mit Betten für Patienten zur Beobachtung.
Schwester Deckyi hat einen eigenen Wohnraum mit Bett und ein außen angebautes Bad mit Toilette. Im Rahmen einer kleinen Zeremonie übergeben wir im Namen der Bambusschule den Schlüssel an Schwester Deckyi. Sie ist sichtlich stolz, unter diesen Bedingungen arbeiten zu dürfen! Und das zu Recht – einschließlich Dho Tharap gibt es weithin kein Dorf mit diesem Standard. Was mir Sorgen macht, ist die Rückseite des Gebäudes: Hier steigt das Gelände an und der Regen vom Dach kann nicht gut ablaufen. Das hat dazu geführt, dass die betreffende Wand Feuchtigkeit nach innen zieht – ganz schlecht! Ich spreche mit Samdup ab, dass schnellstens eine Dachrinne angebracht und das Wasser per Fallrohr dann entsprechend abgeführt werden muss – das Prinzip Dachrinne ist hier unbekannt; an sämtlichen Gebäuden müssen sie nachgerüstet werden (siehe rote Markierung im Bild). Als weiteren Schritt verabreden wir, dass hinter dem Gebäude eine Drainage gelegt wird, um das Wasser vom Hang abzuleiten. Samdup versteht diese Zusammenhänge sofort, sein Problem ist nur die Fülle an Aufgaben und die begrenzte Zeit dafür…
Als Nächstes sehe ich mir das neue Boardinghouse an. Der Verein “Nepalhilfe Beilngries”(www.nepalhilfe.org) , klein an Mitgliederzahl, aber super vernetzt, hat ein tolles Projekt realisiert:
Drei Räume mit Veranda in passiv-solar – Bauweise können als Wohn-bzw. Klassenräume benutzt werden, für die Kinder, die nicht in Chharka, sondern in abgelegenen Dörfern wohnen. Die Zimmer haben alle Holzböden und -wände und sind mit Steinwolle isoliert – ein Novum hierzulande. Auch eine Sperrholzdecke wurde eingezogen und so wird erreicht, dass hier auch im Winter unterrichtet werden kann. Damit wird für die Kinder die effektive Schulzeit deutlich verlängert. Auch die Möblierung mit Schränken, Tischen und Bänken, alles sehr solide gebaut, hat die “Nepalhilfe” übernommen. Insgesamt ist das eine super Ergänzung zu unseren Maßnahmen im Dorf. Meine Gespräche mit einem Vertreter des Vereins waren ausgesprochen konstruktiv und es gab auf beiden Seiten eine gute Verständigung über die jeweilige Zielsetzung. Ich habe es in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass sich Hilfsorganisationen untereinander nicht „die Butter auf dem Brot” gönnen und jede argwöhnisch darauf achtet, mit den eigenen Leistungen im Vordergrund zu stehen. Sehr angenehm, dass in diesem Fall von solchem Armutszeugnis keine Rede ist!
Das aktuelle Projekt der Bambusschule ist die neue Schulküche. Die derzeitige Küche ist viel zu klein; selbst wenn hier nur gekocht würde. Aber in diesem Raum essen die Lehrer, die drei Zimmerleute, Samdup und die Krankenschwester. Schüler und Schülerinnen, die auch von hier versorgt werden, holen sich ihr Essen ab und suchen sich dann irgendwo einen Platz außerhalb. Baufällig ist die Küche auch noch, es gibt nur ein kleines Fenster und es zieht durch alle Ritzen der Lehmwände.
Das Gebäude, an dem Sange und seine beiden Kollegen – natürlich Verwandte aus derselben Region – gerade bauen, soll drei Funktionen haben: Ein Raum wird Küche, hell und mit genügend Platz für alle Geräte, ein angrenzender ist Lagerraum für Nahrungsmittel und Brennmaterial. Das Beste aber wird ein großer Essraum, hell und auch in passiv-solar Bauweise gebaut. Dieser Raum bekommt einen Holzboden und die Decke wird abgehängt; so kann auch bei tiefen Temperaturen gegessen werden. Auch für Versammlungen, Besprechungen oder Schulungen soll dieser Raum benutzt werden. Die Maurerarbeiten sind bereits abgeschlossen und alles macht einen sehr soliden Eindruck. Seit dem Erdbeben in 2015 gibt es in Nepal für Neubauten Bestimmungen, welche die Häuser sicherer machen sollen; auch bei der neuen Schulküche sind Beton-Ringanker verbaut worden.
Die neue Schulküche wird Lernen und Leben von Schülern und Lehrern sehr verbessern!
Sange und seinen Cousins bei der Arbeit zuzusehen, ist eine Freude! Den Bleistift immer hinter einem Ohr, ist Sange voll konzentriert bei der Arbeit.
Seine Kollegen hobeln Bohlen für die Zargen von Türen und Fenster zurecht, im Hintergrund spielt ein Radio Nepal-Pop. Die Baustelle ist in diesem ganz bestimmten Zustand von konstruktivem Chaos; für den Außenseiter sieht es aus, als seien Werkzeuge und Material in Eile abgekippt worden – die Zimmerer wissen genau, was wo liegt. Knöcheltief liegen lange Hobelspäne auf dem Boden, wie sie typisch für eine Raubank sind: lange Handhobel, die bei uns kaum noch jemand verwendet. Über all dem liegt ein würziger Geruch nach Holzspänen – der Koch nutzt sie als Starter für sein Ofenfeuer.
Zwischen all dem Besichtigen und Besprechen weiterer Maßnahmen führen SKF Interviews mit Lehrern und der Krankenschwester durch, besuchen verschiedene Klassen und sprechen mit den Schülerinnen und Schülern – und lassen Dorf und Umgebung auf sich wirken.
Samdup und ich übergeben die 75 Komposttoiletten formal an das Dorf; der Ortsvorsteher, Herr Dawa Lhawang Gurung, nimmt dazu ein von allen Haushaltsvorständen, Dolpo Tomorrow und der Bambusschule unterschriebenes Dokument entgegen – Auf Form wird hier Wert gelegt!
An einem Nachmittag haben wir Gelegenheit, als Zuschauer an einem traditionellen Tanz teilzunehmen: In prächtige Gewänder gekleidet und mit schrecklichen Dämonenmasken vor dem Gesicht tanzen Männer um eine Art Maibaum, begleitet von für unsere Ohren total dissonanten „Musik”klängen. Der Beginn der Getreideernte steht bevor und dieses Ritual soll die Götter gnädig stimmen, erklärt uns Samdup. Über eine Stunde lang springen und jagen die Tänzer um den Baum – unsereins würde das in dieser Höhe keine 10 Minuten aushalten!
Ein Höhepunkt unseres Aufenthalts ist natürlich wieder der ”offizielle” Empfang auf dem Schulhof, mit Tanz- und Musikdarbietungen der Schüler/-innen und diversen Grußworten. Zu diesem Teil habe ich mich in früheren Bambusbriefen bereits ausgelassen, deshalb spare ich mir und den Leser/-innen hier eine Wiederholung…
Einen neuen Aspekt gibt es allerdings: Tourismus. Es ist eine Frage von vielleicht zwei Jahren, dann wird die Piste vom Dorf Sangda bis nach Chharka fertig sein- Jomsom mit seinem Flugplatz hat dann eine Jeep-taugliche Verbindung mit den Dörfern in Upper Dolpo. Das wird weitreichende Folgen für die Bewohner des Dolpo haben: Transporte aller Art werden per Jeep und Traktor durchgeführt – und damit schneller…und teurer. Für Familien, die seit jeher ihr Einkommen mit Maultiertransporten erzielen, hat das natürlich Konsequenzen… Kommen bisher wegen der beschwerlichen Wege über die 5000er Pässe nur vereinzelte Trekker ins Dorf, wird sich das mit der neuen Piste schnell ändern: Dolpo ist Tibet und Tibet steht auf der Liste westlicher Sehnsuchtsorte ganz weit oben. Ich weiß, was Tourismus für Dörfer wie Chharka bedeuten kann, Samdup hat eine vage Ahnung davon – und die Einwohner sind im Zustand absoluter Unwissenheit. Sie verbinden Touristen mit Geldquellen für neue Einkünfte, ihre Vorbilder sind die Sherpa der Region Solu Khumbu. Seit Sir Edmund Hillary den Everest bestiegen und die in seinem Gebiet lebende Volksgruppe weltberühmt gemacht hatte, haben die Sherpa mit dem Pfund ihrer Popularität zu wuchern gewusst. Kein Dorf im Sherpa Land, das nicht mehrere Lodges hat, keine Familie, die nicht Tourguides und Bergführer in ihren Reihen zählt – Touristen geben hier schon lange mehr “Milch” als Yaks. Ob das in Dolpo auch so kommt, bleibt …nein, bloß abzuwarten wäre keine gute Strategie. Samdup und ich waren uns einig, die Dorfbewohner auf die bevorstehende Entwicklung vorbereiten zu müssen. Ich hatte dazu ein Papier verfasst, in dem auf die Wechselbeziehungen zwischen Ressourcen und Nachfragen bei Tourismus im Allgemeinen und in Dolpo speziell eingegangen wird und praktische Aspekte von do`s und dont`s erläutert werden. Samdup hat den Text ins Tibetische übertragen und angepasst und an alle Haushalte verteilt.
Ich halte dann ein Plädoyer, in dem ich auch noch einmal die Bedeutung einer funktionierenden Komposttoilette betone (ohne Toilette kein Homestay, ohne Homestay kein Geld!). Zwar ist die allgemeine Reaktion ausgesprochen zustimmend, es gibt Applaus und viel Kopfnicken – entscheidend wird sein, ob das Dorf es schafft, dem Tourismus als Kollektiv zu begegnen und nicht einzelne Familien versuchen, auf eigene Faust schnellen Profit zu machen.
Die Erfahrungen in Nord Laos geben Anlass zur Skepsis… Letztendlich können wir nicht mehr als beraten, die Entscheidungen trifft das Dorf. Eine Informationstafel wurde bereits aufgestellt…
Am Ende des Programms gibt es noch ein allgemeines Highlight. Nachdem ich im letzten Jahr bei meinem Besuch im Nomadencamp dort so gastfreundlich und herzlich aufgenommen wurde, wollten wir diesmal nicht mit leeren Händen kommen. Samdup hatte mir empfohlen, warme Sachen wie Handschuhe, Schals und Mützen mitzubringen, damit täten wir den Familien einen großen Gefallen.
Ein entsprechender Aufruf an unsere Mitglieder hatte zur Folge, dass unser Wohnzimmer zeitweilig Ähnlichkeit mit einer Kleidersammelstelle hatte – die zugeschickten und abgegebenen Sachen überstiegen bei weitem unsere Transportkapazitäten! Die Gepäckfreigrenzen unserer Vierergruppe wurden bis zum letzten Gramm ausgereizt und ein Kontingent hinzugebucht, den Rest haben wir mit Zustimmung der Spender an das Rote Kreuz gegeben.
Im Lehrerzimmer werden jetzt unsere warmen Mitbringsel ausgebreitet und zu möglichst gleichwertigen Einheiten geordnet – ein Paar Wollhandschuhe und eine Mütze entspricht zwei Schals? Was ist mit warmen Jacken? Die Lehrer nehmen ihre Sache sehr ernst und es dauert, bis genauso viele “warme Haufen” da liegen, wie es Familien gibt. Zettel mit Namen werden zusammengefaltet und in eine Schüssel getan, ein Lehrer hebt ein Geschenk hoch und erst dann ziehe ich ein Los und lese den Namen vor. Es geht absolut fair zu und alle haben einen Riesenspaß. Unsere Bedenken, das Ganze käme vielleicht etwas herablassend und paternalistisch vor, hatte Samdup im Vorfeld zerstreut: “The people will love this! They have absolutely no problem with taking used clothes from you!” Na dann! Das Ganze dauert über eine Stunde und bringt viele zufriedene Gesichter hervor.
Ich hatte Samdup gebeten, ob er uns einen Besuch bei seinen Verwandten in einem der alten Häuser von Chharka organisieren könne; ich weiß noch, wie beeindruckt ich seinerzeit war und möchte auch SKF die Erfahrung ermöglichen. “No problem! We go to my uncle’s“. War ja klar…
Die ältesten Häuser von Chharka bilden ein enges Labyrinth von aneinandergrenzenden Innenhöfen, Lagerräumen für Futter und Ställen. Die Häuser sind drei Stockwerke hoch, leicht konisch nach oben zulaufend und aus dunkelgrauen, roh behauenen Granitsteinen gebaut. Oben haben sie Flachdächer mit Brüstungen, auf denen trockenes Knüppelholz gelagert wird – Material für Leichenverbrennungen. Die Ecken dieser Zinnen ähnelnden Geländer werden oft gekrönt von behornten Yakschädeln, von der Sonne kalkweiß gebleicht.
Das gesamte Ensemble der Altstadt gleicht einer mittelalterlichen Festung; Ähnlichkeit mit Bergdörfern des Jemen drängen sich auf.
Die Eingänge zu den Wohnhäusern sind sehr niedrig, früher waren die Menschen noch kleiner…Das erste Aha-Erlebnis sind die Treppen: In einen Baumstamm – er wurde irgendwann aus dem Süden hierher geschleppt – hat man Stufen gehackt, dabei die Neigung des Stammes und die Trittflächen aufeinander so abgestimmt, dass alle Stufen parallel zum Boden sind. Diese Art Treppen sind unverwüstlich und halten ewig; vom generationenlangen Gebrauch sind die Stufen blank poliert. Unsere dreckigen Schuhe haben wir natürlich ausgezogen und gehen jetzt vorsichtig auf Socken die glatte Treppe hoch.
Der zentrale Raum ist Küche, Wohn- und Schlafzimmer zugleich, der Ofen beherrscht wie immer die Mitte, an einer Seite sind Schränke und der Altar, an zwei Seiten Sitzbänke, auf denen nachts geschlafen wird. Ein älterer Mann begrüßt uns, wohl besagter Onkel, seine Frau und Schwiegertochter machen sich am Herd zu schaffen und ein kleines Kind staunt uns aus großen Augen an. Wir werden traditionell bewirtet:Tibetischer Buttertee, heiß und fettig, wird in bunten chinesischen Tassen vor uns auf niedrige Tische gestellt, begleitet von Chang. Ich habe seit Tagen das Gefühl, meine Hose rutscht mir weg, daher schütte ich bereitwillig den nahrhaften Buttertee in mich rein und spüle mit Chang hinterher. Dass ich dieses Bier am liebsten warm trinke, hat Samdup wohl vorausgeschickt – es tut richtig wohl und wirkt in dieser Höhe auch entsprechend schnell.
Samdup übersetzt das Gespräch; im Wesentlichen geht es um “wie gefällt es euch in Dolpo/Chharka? Danke für eure Hilfe für das Dorf, wie alt seid ihr? Wie viele Kinder habt ihr?” SKF fragen nach allgemeinen Lebensumständen, bewundern die geschnitzten Wandschränke und zeigen sich beeindruckt von dem harten Leben der Menschen. Dann bietet die Hausfrau noch selbstgemachten Joghurt aus Yak- und Ziegenmilch an – und das ist der beste Joghurt, den ich jemals gegessen habe! Zweimal nehme ich nach, was die Dame des Hauses erkennbar freut…
Zum Schluss werden wir noch aufs Dach geleitet, von hier bietet sich ein atemberaubender Rundumblick auf das Dorf und seine Lage am Zusammenfluss der beiden Flüsse. Die alten Häuser, im Wind flatternde Gebetsfahnen, der Geruch der zahlreichen Feuerstellen und ringsum die Einfassung durch Bergketten – ich könnte Stunden hier stehen und einfach nur schauen…
Die Pannen bei unserer Anreise haben uns zwei Tage gekostet; wir beschließen daher, für den Rückweg auf Pferde zu verzichten und stattdessen auf Mopeds zu “reiten”. Als unser Gepäck dann auf einen Traktoranhänger (Traktor und Anhänger kommen aus China nach Chharka) geladen wird, steigen dort dann auch Frauke und Sarah auf; durchgerüttelt zu werden, ist ihnen lieber, als sich den Benzin-Jockeys anzuvertrauen. Immerhin ist der Traktor zu diesem Anlass geschmückt wie ein Pfingstochse.
Der Abschied beschert uns wieder zahlreiche Katas, viele Bewohner sind gekommen und hängen uns die Schals um: “Worche! Tashideleks” und immer begleitet von einem herzlichen Lachen! Ich sitze diesmal hinter Tenba auf dem Krad und los gehts: Good bye Chharka Bhot!
Unser Rückweg wird uns nach Südosten führen, zum Dorf Sangda in der Provinz Mustang, ehemals ein autonomes Königreich. Als “Hidden Kingdom” vermarktet sich die Region schon länger; die Hauptattraktionen sind die zahlreichen alten Klöster. Bis vor einem Jahr musste man, von Jomsom über Sangda kommend, auch zwei 5000er Pässe überqueren, um Chharka zu erreichen: Die berüchtigten Tujela 1 und Tujela 2. (Siehe hierzu auch ältere Bambusbriefe). Inzwischen ist die Piste zwischen Sangda und Chharka von beiden Seiten aus bis zu einer Schlucht fertiggebaggert. Dieses Stück muss noch zu Fuß bzw. per Pferd und mit Mulis bezwungen werden – davon später mehr.
Unser erster Stopp ist an der Hängebrücke. Die Mopeds fahren ohne weiteres über die leicht schwingende Konstruktion, der Traktor muss allerdings durch den Fluss. Und ob er das schafft, ist jetzt die große Frage – gestern ist ein Trecker im Wasser stecken geblieben und musste mühsam rausgezogen werden. Wir Mopedfahrer nehmen am diesseitigen Ufer Aufstellung und warten gespannt, was passiert. Langsam fährt das Traktorgespann mit den beiden Frauen, Tsering und Jangbu und unserem gesamten Gepäck den steilen Hang neben dem Brückenpfeiler runter und in den Fluss. Die Strömung ist bei dem Gewicht des Treckers kein Problem, aber die Tiefe! Kommt Wasser in den Motor, ist alles aus, das darf nicht passieren! Der Treckerfahrer scheint zu wissen, was er tut, er gibt Gas und lenkt sein bestes Stück leicht schräg auf das andere Ufer zu – kurz stockt er einmal und wir halten die Luft an. Bloß keinen weiteren Tag verlieren! Bis über die Achsen sind Traktor und Anhänger im Wasser, aber dann geht es wieder bergan und der Fluss ist durchquert!
“From here it`s easy, no further trouble!” meint ein lachender Samdup. Er nimmt übrigens nie jemanden mit als Beifahrer: “I am a terrible driver! Too risky! Haha!”
Entspannt sitzen wir wieder auf und genießen die Fahrt bei herrlichem Sonnenschein und Ausblicken auf schneegekrönte Berge am Horizont. Zweimal noch müssen wir durch Flüsse, aber jedes Mal bedeutet mir Tenba, sitzen zu bleiben. Während er mit seinen Füßen im Wasser das Gleichgewicht hält und sein Moped gekonnt über glatte Steine lenkt, sitze ich hinter ihm hoch und trocken, die Schuhe auf den Fußrasten!
Der Traktor ist erstaunlich nah hinter uns, so schnell, wie mir unsere Fahrt vorkommt, ist sie dann wohl doch nicht…
Wir sind dem Tagesziel, einem Zeltcamp mit Namen “Perol” schon ziemlich nahe, da heißt es für Kevin und mich, von den Mopeds ab- und auf den Anhänger zu steigen. Die letzten Kilometer sei es zu schlammig. Die beiden Frauen, Jangbu und Tsering haben es sich auf dem Gepäck einigermaßen bequem gemacht, aber als sich der Trecker dann in Bewegung setzt, bin ich heilfroh, bis hierher auf dem Moped gefahren zu sein! Unstrukturiertes Durchrütteln, nicht sitzen, aber auch nicht liegen können – nein danke! Da kommt ein Ritt auf dem Moped dem auf einem Pferd schon näher!
Weit ist es nicht mehr, dann haben wir das Camp erreicht. Ein großes weißes Militärzelt beherbergt Küche und Schlafraum für die beiden Frauen, die das Ganze betreiben und die jeweiligen Gäste, also Durchreisende mit ihren Mulis. Daneben gibt es noch zwei kleinere Zelte als Lager für Proviant und was weiß ich sonst noch.
Das gesamte Ensemble hat eine Lage, worum es jedes 5 Sterne Hotel in der Schweiz beneiden würde: Es liegt am Fuß des Dhaulagiri Massivs und der Eisklotz sieht mit seinen 8000 Metern zum Greifen nah aus! Entsprechend kalt wird es auch, sobald die Sonne untergeht…Ich baue meinen Klappstuhl auf und genieße einen heißen Ingwertee mit Blick auf den Berg – Es ist einer dieser Momente, da alles stimmt…
Der nächste Morgen beginnt, wie der Tag geendet hatte: kalt und sonnig! Es gibt Frühstück im Küchenzelt/Schlafraum mit heißer Nudelsuppe, Porridge und Buttertee (optional). Das kulinarische Highlight wird begleitet von einer olfaktorischen Komposition: In der Herznote nasse Männersocken und getrocknetes Yakfleisch an Knoblauch; der Abgang wird dominiert von kräftigem Rauch von Ziegendung.
Gestärkt und mit Wärme im Bauch machen wir uns unter Jangbu`s Führung auf den Weg. Das Dhaulagiri Massiv immer vor Augen, geht es jetzt stetig abwärts. Der Pfad wird zunehmend anspruchsvoller, jeder Schritt will gut gesetzt sein, kindskopfgroße Steine wechseln sich ab mit losem Schotter. Aber die eigentliche Herausforderung kommt noch: Wir müssen auf die andere Seite eines rasch fließenden Gebirgsbachs, zu breit, um ihn zu überspringen, zu tief für trockene Füße! Ratlos laufen wir an unserem Ufer auf und ab, um doch noch eine Stelle zu finden, rüber zu kommen – Fehlanzeige! “Schuhe ausziehen!” meint Jangbu, praktisch, wie er nun mal ist. Von Stein zu Stein hüpfen wäre bei den glatten Kieseln keine gute Idee, und sind einmal die Schuhe nass, bleiben sie das für die nächsten drei Tage. Will man nicht. Also Schuhe an den Schnürriemen zusammenbinden, Socken reinstecken, um den Hals hängen und die Hosenbeine hochkrempeln. Das Ergebnis ist ästhetisch mehr als fragwürdig, aber hier sieht`s ja niemand…
Inzwischen haben uns auch die beiden Mulitreiber eingeholt, sie kennen das Problem natürlich, für sie ist das hier gar kein Thema: Völlig unbekümmert gehen sie mit Schuhen und langer Hose ins Wasser und zeigen uns, wohin wir unsere wackeligen Schritte setzen sollen! “Meine Güte, was machen die für ein Drama aus so einem Bach!” Falls sie sowas denken, zeigen sie es nicht. Ganz im Gegenteil, ausgesprochen entgegenkommend, geradezu fürsorglich helfen sie uns Unbeholfenen nacheinander auf die andere Seite, reichen Hände zu, nehmen uns Rucksäcke ab und lächeln ausdauernd dabei!
Am anderen Ufer trocknen wir uns notdürftig die steifen Füße ab – das Wasser ist eiskalt! – und ziehen die trockenen Schuhe an. Geschafft! Von wegen: “ We must do five times more!” übersetzt uns Jangbu die frohe Botschaft. Noch fünfmal durch den Bach! Hätte ich bloß meine High-Tech-Wassersandalen mitgebracht! Barfuß mit vor Kälte gefühllosen Füßen über rutschige Bachkiesel zu stolpern, ist kein Spaß… An einer besonders heiklen Stelle bietet mir der Muli-Mann an, mich Huckepack rüberzutragen – dann schon lieber Augen zu und durch!
Nach der letzten Furt geben die Mulileute richtig Gas und sind im Nu mit ihren Tieren um die nächste Ecke verschwunden, sie werden unser Tagesziel Sangda lange vor uns erreichen.
Wir wandern jetzt leichten Schrittes – immer weiter bergab – bei bestem Wetter durch eine Landschaft, der man in ihrer Gewaltigkeit und Grandiosität mit Fotos oder Videos nicht gerecht werden kann: Immer tiefer hinab geht es in eine Schlucht, die sich der Bach in unvorstellbarer Zeit in den Fels gegraben hat, fast senkrecht ragen beiderseits raue Wände in einen Himmel, in dem dann und wann ein Adler oder Geier seine Kreise zieht…Wir sind hier so was von unbedeutend und überflüssig, geradezu lächerlich muten vor dieser Kulisse unsere Befindlichkeiten an: Trockene Schuhe! Wie weit ist es noch? Noch ein Selfie…
Wir passieren eine uralte Holzbrücke; kunstvoll gebaut ohne ein einziges Stück Metall, erinnert sie an eine Zeit, als in diesen Regionen noch kein Verbrennungsmotor die Luft verpestete und das Rad völlig fehl am Platz war – diese Zeit liegt nur ein Jahr zurück!
Hinter der nächsten Biegung begegnen wir einem High Tech -Tyrannosaurus: Er heißt “Komatsu”, bewegt sich unter Ausstoß dunkler Dieselwolken auf knirschenden Ketten und reißt mit seiner zahnbewehrten Schaufel große Brocken aus der brüchigen Bergwand.
Der Kettenbagger gehört zu einem ehrgeizigen Pistenbau-Projekt, dessen Ziel es ist, die Regionen Mustang und Dolpo miteinander zu verbinden und dem Jeep- und Traktorverkehr zu erschließen. Von Sangda, unserem Tagesziel, bis zur alten Holzbrücke waren es viele Kilometer durch die Berge und gewaltige Mengen an Gestein und Erde mussten bewegt werden. Jetzt fehlt “nur” noch das letzte Stück bis zum Sommercamp, wo wir heute früh aufgebrochen waren. Das hat es allerdings in sich, den Weg entlang des Flusses kann die Piste nicht nehmen, der Bagger muss einen großen Umweg durch die Berge machen. Samdup rechnet mit einem weiteren Jahr, dann wird Chharka Bhot nicht mehr zu den schwer erreichbaren Orten in Nepal gehören…. und der “Fortschritt” hält Einzug in Upper Dolpo. Om mani padme hum…
Kurz hinter dem Bagger wartet eine angenehme Überraschung auf uns: die bestellten Pferde aus Sangda! Nach einer kurzen Mittagspause heißt es “Aufsitzen!” und wir schaukeln im gemächlichen Schritt, wenn auch nicht in den Sonnenuntergang, so doch Abendessen und Schlafsack entgegen.
In Sangda, lange Zeit der letzte Außenposten mit Pistenanbindung von Jomsom, der “Hauptstadt” von Mustang, hatte schon vor Jahren ein weitblickender Landbesitzer mit unternehmerischem Gespür eine Lodge gebaut. Alle Händler und die wenigen Trekkingtouristen machen hier Halt und kehren ein; im Schlafraum ist Platz für drei Betten und auf der Wiese vor dem Haus können Zelte aufgebaut werden. Eine Wassertoilette ist vorhanden (die Bergquelle oberhalb des Dorfes sprudelt ohne Pause in der frostfreien Zeit) und alles macht einen sehr gepflegten Eindruck. Ich war hier schon dreimal und verbinde mit diesem Dorf intensive Erinnerungen: Von hier ging es erwartungsfroh los über die beiden 5000er Tujela Pässe, hier kamen wir völlig erschöpft an nach der Monsun-Tour (ich bin damals schon im Sitzen eingeschlafen) … Diesmal sind nur unsere Pferde müde.
Wir verabschieden die freundlichen Muli-Führer, entspannen uns bei guten Essen, Jangbu und ich trinken Chang und genießen einen wundervollen Sonnenuntergang!
Am Morgen besteigen wir ein letztes Mal die Pferde. Eigentlich sollte uns ein Jeep von Sangda nach Jomsom bringen; in nur drei Stunden hätten wir den Ort erreicht. Aber die verheerenden Regenfälle der letzten Tage, die in anderen Teilen Nepals für Überschwemmungen mit Hunderten Toten gesorgt und es sogar in die deutschen Nachrichten gebracht hatten, haben die Straße nach Jomsom weggerissen. Wegen anderer Schäden ist auf absehbare Zeit kein Bagger verfügbar, deshalb werden wir bis zum Beginn des befahrbaren Streckenabschnitts reiten. Ein letzter Blick geht zur Passhöhe des Tujela, dann trotten unsere Ponys ein letztes Mal steil bergauf. Um Zeit zu sparen, folgen die Pferdeleute nicht den Serpentinen der Piste, sondern nehmen eine Abkürzung zum Pass. Nach kurzer Zeit liegt Sangda schon tief unter uns und die Pferde müssen immer wieder Pausen einlegen, so steil ist es.
Mir tun die Tiere leid, wenn sie da mit bebender Flanke stehen und mit geblähten Nüstern nach Luft gieren – aber ohne Pferde wären wir hier völlig aufgeschmissen. An der Passhöhe pausieren wir etwas länger, der totale Rundumblick ist einfach atemberaubend! Hinter uns liegen die Tujela Pässe in Dolpo, vor uns breiten sich die braunkargen Weiten von Mustang aus, die Stadt Kagbeni ist zu erkennen und hoch darüber der berühmte heilige Ort Muktinath, ein wichtiges Pilgerziel für Hindus und Buddhisten. Weiter im Westen schließlich lassen sich die Eisspitzen des Annapurna-Massivs ausmachen…Wir haben wirklich das Gefühl, auf dem Dach der Welt zu stehen! Und dann kommt auch hier wieder ER, der König der Lüfte zieht unter meisterhafter Beherrschung der Thermik seine Kreise…
Jetzt geht es nur noch abwärts und bald können wir erkennen, warum dieser letzte Pferderitt nötig war: Unter uns hat die vom harten Boden nicht aufnehmbare Wasserflut die Piste über eine Strecke von etwa 100 Metern völlig weggerissen und zu Tal gespült. An eine Reparatur ist hier nicht zu denken, die Piste muss an dieser Stelle komplett neu aus dem Hang gebaggert werden. Nach Sangda wird erstmal kein Jeep fahren.
Unser Fahrer wartet bereits jenseits der Verwüstung und dann geht alles ganz schnell. Völlig unzeremoniell verabschieden wir uns von den Pferdemännern, ich stecke meinem Wallach noch einen Apfel ins Maul, was ihn sehr irritiert, dergleichen kennt er nicht. Jetzt geht`s eng gepackt im Mahindra 4×4 Richtung Jomsom.
Ein Wechsel der Welten innerhalb von 24 Stunden: Gestern noch am Fuß des Dhaulagiri auf das Geheul von Wölfen gewartet, heute eine heiße Dusche im Guesthouse, dann ins Café gegenüber zu Chai- Latte und Cappuccino! Vor drei Jahren hatte ich hier Sanish Maharjan kennengelernt; zum Überleben betreibt er sein gepachtetes Café während der kurzen Trekking-Saison, aber sein Herz schlägt für Musik, Malerei und spirituelles Wachstum.
Nun verstehe ich von Musik und Malerei kaum etwas und von spirituellem Wachstum noch weniger, war aber von Sanish´s Können am Saxophon und elektronischen Klavier selbst als Laie schon damals beeindruckt. Ich hatte seine Darbietung aufgenommen und sofort nachhause geschickt (natürlich gibt`s hier Wifi!). Frau Peters‘ Kommentar: “Klar! Er spielt Ludovico Einaudi! Und recht gut!” Ein Mensch mit Kunstverstand in der Familie muss reichen! Ich jedenfalls hatte von diesem Audi noch nichts gehört…Immerhin habe ich seitdem ein Original-Maharjan- Aquarell an der Wand!
Der Rest unserer Reise ist schnell erzählt: Per Twin Otter von Jomsom nach Pokhara (bei herrlicher Sicht auf Nilgiri und Annapurna).
Dort bei subtropischen Temperaturen und zeitweiligem Stromausfall anderthalb Tage “Urlaub”…
…dann Flug zurück nach Kathmandu und heim ins Hotel:
SKF gehen auf Einkaufstour im Stadtviertel Thamel (alles, was das Herz begehrt und noch etwas mehr); mir fällt trotz ernsthaften Bemühens nichts ein, was ich noch nicht habe. Frau Peters` Worte im Ohr “Bring bloß nichts mit!”, unterdrücke ich sogar mannhaft den Impuls, ein weiteres Messer zu kaufen und verbringe meine Zeit in einer kleinen Kaffeebar bei Espresso und Joghurt – letzterer leider nicht vom Yak!
Ein abschließender Punkt steht noch auf der Liste: Besuch in der Deutschen Botschaft zur Berichterstattung.
Mein Pumo (Tibetisch für Tochter) und ich treffen Botschafter Dr. Prinz in den letzten Zügen einer Gartenparty für die einheimischen Angestellten (der Begriff “Ortskräfte” ist seit dem Debakel in Kabul etwas belastet). Der Garten ist eine Oase inmitten der quirligen Stadt; auf dem Gelände gilt die deutsche STVO und die Gärtner müssen bei der Arbeit Sicherheitsschuhe tragen. Am deutschen Wesen wird die Welt genesen!
Dr. Prinz ist nach seinem Besuch in der Winterschule sehr an der Entwicklung in Chharka interessiert, zu einem Besuch im Dorf sei es aufgrund seines dicht getakteten Terminkalenders leider noch nicht gekommen. Er weist uns aber auf ein Programm hin, das es talentierten jungen Nepalis ermöglichen soll, in Deutschland eine Berufsausbildung zu absolvieren – wir sind sehr interessiert und Konsul Czaja stellt den Kontakt her.
Wir wünschen Konsul und Botschafter ein schönes und verdientes Wochenende und machen uns auf die Suche nach einem Taxi.
Der letzte Abend verläuft nach bewährter Tradition: An der berühmten Stupa von Boudha treffen wir Jangbu und Miss Jenny, die Buchhalterin von Dolpo Tomorrow und Samdups Firewall gegen Chaos im Büro. Sie ist seit heute nicht mehr Miss, sondern jetzt Mrs.Sherpa! Jangbu fragt nach und erfährt, der Gatte sei zwar Sherpa, aber “he was not born in Solu Khumbu” – was immer das bedeutet.
Nach dem obligatorischen Rundgang um die riesige Stupa – im Uhrzeigersinn! – kaufen wir noch etwas Räucherwerk und einige Gewürze in Läden der Seitengassen. Boudha ist das Zentrum der Sherpas und Tibeter -also auch der Dolpopa – in Kathmandu; hier feiern sie ihre Feste, hier kaufen sie ein und hier kennt jeder jeden.
Normalerweise würden wir jetzt eingeladen zum Momo-Essen im Haus von Jangbu und seiner Frau Dolma.
Weil aber ihre Mutter schwer krank im Krankenhaus liegt und von Dolma tagsüber betreut werden muss, haben die beiden gebeten, diesmal zum Essen in ein Sherpa Restaurant zu gehen. Weil Jangbu aber – sehr zu Recht! – stolz ist auf sein Haus, fahren wir jetzt dorthin und erhalten eine Führung. SKF sind stark beeindruckt: Vom mittellosen Träger und Gelegenheits-Zimmermann hat sich Jangbu zum Chef-Trekking-Guide hochgearbeitet. Auf seinen zahlreichen Reisen nach Deutschland und in andere europäische Länder hat ihm sein freundliches und liebenswürdiges Wesen viele Direktkunden für Trekkingtouren eingebracht. Mit dem Erlös konnte er beiden Töchtern eine Ausbildung zur Krankenschwester ermöglichen; Yangji lebt jetzt in Berlin und Tsering in Melbourne. Das Haus ist ein sichtbares Zeichen für Fleiß, umsichtiges Wirtschaften und kluges Investieren – wir ziehen den Hut vor Jangbu!
Im Sherpa Restaurant findet dann der Abend bei Bier und Sherpa Stew seinen Abschluss – zur allgemeinen Freude sind auch Dolma und unser Koch Tsering gekommen – Jangbu lässt es sich trotz heftiger Proteste nicht nehmen, uns einzuladen. Worche, mein Freund!
Der Abschied vom Hotel Utse und dem freundlichen Personal Personal fällt wie immer herzlich aus: „Come back to your Kathmandu home!” Bestimmt!
Die Seele des Hauses: Mama Utse Sie organisieren das Tagesgeschäft: Bimala, Deepak, Rhina
Jangbu und Tsering sind pünktlich mit dem gecharterten Minibus zur Stelle und wir schieben uns langsam durch die mit Autos und Mopeds verstopften Straßen in Richtung Flughafen. Anstelle von Ampeln regeln uniformierte Polizisten auf Verkehrsinseln den Verkehr, einige von ihnen scheinen verhinderte Dirigenten zu sein: Akzentuiert mit schrillen Tönen aus Trillerpfeifen weisen sie mit ausladenden Gesten beider Arme den unterschiedlichen Blechströmen ihre jeweilige Richtung zu. Bisweilen fällt ihr Blick auf einzelne Verkehrsteilnehmer und eine herrische Geste befiehlt den Unglücklichen an den Straßenrand. Papiere werden geprüft, das Moped knapp gewürdigt und akzeptiert – aber die Beifahrerin hat keinen Helm! Kurze Diskussion, Scheine wechseln den Besitzer, ohne Quittung, versteht sich – “Weiterfahren!” Das kleine Kind auf dem Tank vor dem Fahrer war nicht Gegenstand der Betrachtungen! Mich beeindruckt, dass es bei all dem Gedränge und Warten keine Hupkonzerte gibt – “Wouldn`t help!” meint Jangbu als Erklärung. Als ob das Italiener von ihren Fanfaren abhalten würde!
Jangbu und Tsering helfen uns mit dem Gepäck, soweit sie in den Flughafen gelassen werden, dann heißt es auch hier Time to say good bye! „See you again in May in Germany, Jangbu”!
Wir stellen uns den Herausforderungen von Gepäckkontrollen und verschiedenen Stempelprozeduren, um schließlich auf „bequemen“ Hartschalensitzen auf das Einsteigen zu warten. Mit der Twin Otter nach Juphal hatte irgendwie mehr Charme…
Nachtrag: Jangbus Schwiegermutter ist Mitte November gestorben, die Verbrennung und Totenfeiern fanden im Sherpa Center in Boudha sowie im Heimatdorf in Solu Khumbu statt. Jangbu auf meine Frage, wie es ihm und Dolma gehe:
“We all have to go. Some sooner, some later.” Dem ist nichts hinzuzufügen.
Doch:
Sarah, ich bin stolz auf dich!